Begegnungen III

27. Mär 2012

IIIzu I ….. zu II


Das ist Katrin, deine leibliche Mutter.

Das hätte die Frau vom Jugendamt ihm nicht sagen müssen. Er wusste es. Nicht, weil diese Frau ihm ähnlich sieht oder er diese magische Verbindungen spürt, die es angeblich zwischen Mutter und Kind geben soll. Aber er sieht, dass diese Frau auf ihn wartet. Und er sieht all die Ausreden und Gründe, die sie ihm erzählen und die er nicht hören will.

Björn vergräbt seine Hände tief in den Taschen seiner Hose. Sein Blick ist starr auf den Boden gerichtet und sein Körper spannt sich, als würde er einen Schlag erwarten.

Es tut mir leid, Björn.“, haucht die Frau.

Überrascht von dieser Bemerkung hebt er den Kopf und sieht Katrin an, die Augen voller Trotz.

Er erinnert sich genau an den Moment, in dem ihm klar wurde, warum die Frau, die ihn geboren hatte, nicht seine Mutter ist.
Er erinnert sich, wie er erkannte, dass die Geschichte seiner Adoptiveltern, er wäre ein Geschenk, eine Lüge war, die sie ihm erzählten, als er noch klein gewesen war.
Er erinnert sich, wie er plötzlich wusste, dass sie ihn einfach nicht gewollt hatte. Sie hatte ihn weggegeben, wie ein Geburtstagsgeschenk, dass ihr nicht gefiel.
Und er erinnert sich noch genau, wie sich dieses Wissen angefühlt hatte.

Dieses trockene Brennen in den Augen und das Reißen im Magen, dass er auch heute den ganzen Tag mit sich herum getragen hat.

Was zum Geier tut dir leid?‘, will er sie anschreien, noch wütender darüber, dass er es nicht kann. ‚Warum hat sie nicht ihre Geschichte erzählt? Warum sieht sie so verdammt erleichtert aus? Warum sagt sie, dass es ihr leid tut?
Warum?‘

Katrin streckt ihm die Hand entgegen. „Ist es zu spät?

‚JA! Nein. Ach Scheiße!‘
Vielleicht.“

Unentschlossen blickt Björn auf die ausgestreckte Hand und stellt fest, dass diese Frau nicht versucht, sich zu entschuldigen. Sie bittet nicht um Verzeihung für etwas, dass nicht zu verzeihen ist.

In seinen Ohren kann er das Knirschen seiner Zähne hören. Er fühlt, wie sich sein Kiefer immer wieder von einer Seite zur anderen schiebt. Das wäre der richtige Zeitpunkt auszusprechen, weshalb er hergekommen ist. Er möchte ihr ins Gesicht sagen, dass er sie nicht braucht, dass er nun sie nicht mehr will, dass er nicht interessiert daran ist, was sie zu sagen hat und ihr dabei ins Gesicht sehen. ‚Ich will dich nicht!‘, denkt er.

Aber das stimmt nicht.

Björn sieht auf Katrins Hand.
Vielleicht nicht.

Dann schweigt er wieder. Wenn er jetzt beginnt zu reden, fürchtet er, kann er vielleicht nicht wieder aufhören und es geht sie gar nichts an, was er dachte oder fühlte. Sie war nicht seine Mutter.

Schließlich zieht Katrin verlegen die Hand weg.
Das muss wohl reichen.“ Sie verschränkt die Arme vor der Brust und reibt sich nervös über die Oberarme.

Und was machen wir jetzt? Was möchtest du jetzt tun?

Björn zuckt mit den Schultern. Soweit hat er sich das nicht überlegt.
Keinen Plan.“ murmelt er und schiebt die Fransen aus seinem Gesicht, um Katrin anzusehen.

Als er klein war, hatte seine Mutter ihm aus einem Kinderbuch vorgelesen, von einem Jungen, der von Planet zu Planet wandert. Möglicherweise war es auch ein Prinz gewesen, Björn erinnert sich nicht mehr genau. Aber er weiß noch, wie geborgen er sich gefühlt hat, in den Armen seiner Mutter, die ihm beim Lesen über den Kopf streichelte. Björn versucht sich vorzustellen, dass es Katrin gewesen war. Widerwillig schüttelt er den Kopf und grunzt ein kurzes Lachen. Er weiß nicht einmal, ob sie gerne liest. Er weiß gar nichts von ihr.

Was ist?“ Eine Falte erscheint zwischen Katrins Augen, doch sie lächelt, auch wenn es ein wenig flackernd ist.

Ich würd gern raus finden, wer du bist.“

~

Es macht die Wüste schön, daß sie irgendwo einen Brunnen birgt.“

Der kleine Prinz – Antoine de Saint-Exupéry

Begegnungen II

24. Mär 2012

IIzu I ….. zu III


Sigrid blättert durch die Papiere auf ihrem Schreibtisch. Ruckartig legt sie die Unterlagen beiseite und blickt zu dem Jungen, der ihr gegenüber sitzt. Sie versucht in dem verschlossenen Gesicht des 14-Jährigen zu lesen.
„Du musst sie nicht sehen, wenn du das nicht möchtest.“

Noch einmal gibt sie ihm die Möglichkeit sich gegen die Begegnung zu entscheiden, gegen die Veränderung, das Chaos, welches ihm bevor steht. Er ist viel zu jung für diese Begegnung, findet sie. Viel zu jung, um sich mit einer Frau auseinander zu setzen, die aus irgendeinem Grund gerade jetzt beschlossen hatte, einen losen Faden ihres Lebens wieder aufzunehmen, ohne richtig darüber nachzudenken, was es für den Anderen, was es für Björn bedeuten wird.

Müde schließt sie die Augen. Sie will nicht ungerecht sein, aber es fällt ihr schwer nicht wütend zu werden. Einige der Mütter, die über das Jugendamt Kontakt zu ihren Kindern aufzunehmen, entscheiden sich nicht völlig gedankenlos. Aber es ist ein egoistischer Entschluss, immer, denn wenn sie vor der Wahl stehen, ob sie in das Leben ihres Kindes treten oder nicht, sind sie allein.
Sicherlich ist am Ende der Wille des Kindes entscheidend. Aber wenn sie zu jung sind, wie sollen sie wissen, wie diese eine Begegnung ihr Leben, ihr Wesen verändern wird.

‚Und sie wissen nicht, wie oft ich schon ihre kleinen Herzen habe brechen sehen.‘
Sigrid hofft, dass der Junge seine Meinung noch ändert.

Björn zuckt mit den Schultern und fährt sich mit einer Hand durch die ordentlich gekämmten Haare. Jetzt liegen sie wild durcheinander.

‚Nun ist er innen wie außen aufgewühlt.‘, denkt sich die Jugendamtmitarbeiterin und stellt fest, dass damit ihr tägliches Kitsch-Limit erreicht ist. Sie versteckt ihr grimmiges Lächeln hinter einer Fassade der Professionalität.

Gut.“
Aufmunternd lächelt sie ihm zu. Es bringt nichts den Jungen auch noch durch ihre Sicht der Dinge zu verunsichern. Diese Situation ist für ihn schwer genug, auch wenn er nicht zu den Kindern gehört, die vor Aufregung ganz zappelig werden.
‚Außerdem ist es meine Aufgabe die Begegnung mit seiner leiblichen Mutter objektiv zu begleiten.‘, erinnert sie sich selbst.
‚Ich bin ein Puffer, kein Stopper!‘

Ein Mantra, welches sie, besonders in den letzten Jahren ihrer fast dreißigjährigen Berufserfahrung, immer öfter wiederholen muss.

Wenn du noch etwas wissen möchtest, darfst du mich gern fragen.
Sigrid überlegt, ob sie den Jungen gut genug vorbereitet hat. Seine kräftige Statur täuscht leicht darüber hinweg, dass er noch ein Kind ist. Aber er wollte die Begegnung von Anfang an, nicht telefonieren, ein richtiges Treffen von Angesicht zu Angesicht. Seinen Adoptiveltern, ein älteres Ehepaar, welches sehr an ihm hängt, war es wichtig, ihm dabei nicht im Weg zu stehen. Sie redeten davon, dass er seine „Wurzeln“ kennenlernen sollte.

‚Was für ein Schwachsinn.‘ Sigrid schüttelt unbewusst den Kopf, als sie an das Gespräch zurück denkt. Seine Wurzeln sind die beiden Menschen, die ihn zu dem gemacht haben, was er jetzt ist, ein eigensinniger, sensibler und wortkarger Charakter.
‚Vielleicht zu eigensinnig.‘, überlegt sie, während Björn unruhig mit den Füßen über den Boden schleift.

Sigrid steht auf und geht um den Schreibtisch herum zu Björn. Sie lehnt sich an die Kante des Tisches und beugt sich hinunter um dem Jungen ins Gesicht sehen zu können.

Als er ihr sagte, er wollte seine leibliche Mutter sehen, spiegelte seine Körpersprache, sein Blick, Mimik und Gestik eine Vielzahl an Gefühlen. Sie sah Wut und Angst, Hoffnung und die Verunsicherung, trotz seiner bestimmten Worte.
Alles, was sie jetzt sieht, ist eine erschreckende Verbissenheit seine Gefühle nicht zu zeigen. Stattdessen wirft er einen ungeduldigen Blick zu Uhr an der Wand.

Es wird Zeit.“, sie nickt.
‚Ok, Junge, mach bloß keinen Blödsinn.‘ Sie atmet kurz durch. ‚Vielleicht wird es Zeit, es sich mit Stricknadeln zu Hause gemütlich zu machen.‘

Es ist gleich dort um die Ecke.“, erklärt Sigrid, damit Björn sich vorbereiten kann, dann gehen beide schweigend neben einander her. Als sie in den anderen Gang abbiegen, sieht sie die junge Frau im Türrahmen stehen.

‚Verdammt, wie schwer kann es sein in einem Raum zu warten!‘ ,flucht die Beamtin innerlich und bemerkt das kurze Zögern des Jungen.

Das ist Katrin, deine leibliche Mutter.
Sie nickt dem Jungen aufmunternd zu.

Dieser hat die Hände tief in die Taschen seiner Jeans vergraben und starrt auf den Fußboden. Sigrid betrachtet besorgt, wie sich der Körper des Jungen anspannt.

Es tut mir leid, Björn.“, haucht die Frau.

Überrascht von dieser Bemerkung hebt der Junge den Kopf und sieht Katrin endlich an, die Augen voller Trotz.

‚Das ist es, was sie alle sagen. Es tut ihnen leid.‘
Sigrid unterdrückt ein Kopfschütteln. Aufmerksam beobachtet sie die Reaktion des Jungen. Sie wird nicht zulassen, dass er mehr unter Druck gesetzt wird als nötig.

‚Na los, sag was.‘, fordert sie die Mutter in Gedanken auf.

Katrin streckt ihrem Sohn die Hand entgegen.

Ist es zu spät?

Vielleicht.“ Björn blickt unentschlossen auf die ausgestreckte Hand. Der Mund ist zusammengepresst. Einen Moment lang knirscht er mit den Zähnen.

Vielleicht nicht.

„Das Überwinden von Grenzen öffnet Türen in uns, durch die Stück für Stück das Fremde sickert, um ein Teil von uns zu werden.“

Gernot Wolfram – Samuels ReiseGernot Wolfram
Samuels Reise
208 Seiten
Februar 2005
DVA
ISBN 978-3421058317



Ein Mann und ein Junge, die nichts verbindet als die Liebe zu einer Frau. Distanziert betrachten sie einander und werden, nicht ganz freiwillig, auf eine gemeinsame Reise geschickt. Es ist schwer für die beiden eigenwilligen Charaktere miteinander umzugehen. Der in sich gekehrte Übersetzer wird aus den Routinen seines Leben heraus gerissen und soll den Sohn seiner Freundin Anna nach Krakau begleiten. Samuel soll dort seinen Lieblingsschriftsteller treffen. Doch die Reise läuft von Anfang an nicht wie geplant. Der Junge stellt sich als ausgesprochen widerspenstig heraus und scheint fest entschlossen den überflüssigen Begleiter zu ignorieren. Immer wieder geht er eigene Wege.

Dann stellt sich die Begegnung mit dem bewunderten Schriftsteller als Täuschung heraus und der Junge verschwindet.

Die Suche nach Samuel schickt den Erzähler auf eine neue Reise, die ihn diesmal über die eigenen Grenzen gehen lassen.

Nähe und Distanz sind die Themen, um welche die Geschichte kreist. Wobei für mich mehr die Distanz als die Nähe spürbar ist, vielleicht weil der Erzähler sich seinen Abstand erhält, z.B durch seine Namenlosigkeit. Und es wirkt, als hätte er selbst nicht viel Interesse an anderen Menschen. Erst die selbstbewusste Lidia weckt seine Neugierde. Ich glaube, es ist ihre Unabhängigkeit, die angenehme, natürliche Distanz, die sein Wunsch nach Nähe weckt.

Dabei wird durch unterschiedliche Situationen der Einfluss von Wahrheit und Täuschung auf emotionale Nähe bzw. Distanz beleuchtet.
Kann man sich selbst gegenüber nur wahrhaftig sein, wenn man, zB. durch geografische Distanz, Abstand zu sich selbst hat?
Kann Nähe wahrhaftig sein, wenn sie aus Täuschung geboren ist?

Der Autor Gernot Wolfram arbeitet mit diesen Fragen auf verschiedenen Ebenen und mit einer Sprache, die mich an moderne Klavierstücke erinnert, nicht immer melodisch, aber kunstvoll und klingend.

Für mich bleibt Samuel in der gesamten Geschichte der interessantere Charakter. Doch leider erfahre ich nicht viel über über ihn, denn wir bleiben immer beim Erzähler, der mir aber durch seine Zaghaftigkeit und seine egoistische Passivität so gar nicht sympathisch wird.

„Samuels Reise“ ist eine Reise, die viel verändert, jedoch leider nicht mich.

Begegnungen I

20. Mär 2012

Izu II …..  zu III


Wann?“

Noch 10 min.“

Was wenn …?

Mach dir keine Gedanken.

Als wenn ich das abstellen könnte.“

Katrin …“
Er versucht sie an den Schultern zu fassen, ihr Halt zu geben, doch sie weicht zurück und geht hinüber zum Fenster. Im Gegenlicht lässt sich ihr Gesicht kaum erkennen. Er braucht es nicht zu sehen, um zu wissen, wie sie vor Anspannung die grünen Augen zusammen kneift, das Rechte mehr als das Linke und das Kinn nach vorn reckt, um zu vermeiden, dass sie auf ihrer Unterlippe herum beißt.

Ich bin dir dankbar, dass du mitgekommen bist, Thomas.“
Sie dreht sich herum. Rastlos knetet sie ihre Hände.

Ich bin froh, dass ich hier bin.
Er würde am liebsten zu ihr hinüber gehen, doch sie will nicht von ihm beruhigt werden. Aufmunternd nickt er ihr zu, lächelt.

Durch den Raum hindurch kann sie die Wärme in seinem Lächeln spüren. Ohne es zu bemerken, verschränkt sie die Arme und beobachtet dann, wie er sich abwendet, um scheinbar interessiert die Bücher in dem Regal hinter sich zu studieren. Das ist seine Art ihr Raum zu lassen.

Sie ist wirklich froh, dass er mit ihr hier ist, aber sie erträgt seinen liebevollen Blick kaum. Ihre Hände umklammern ihre Oberarme bis es schmerzt. Ihr Blick klammert sich an den Mann auf der anderen Seite des Raumes.
Wenn man das vom Alter gerundete Gesicht nicht sieht, wirkt Thomas mit seinem schlaksigen Körperbau eher wie der 15-Jährige, den sie kennengelernt hatte, als der 30-Jährige, der er jetzt ist.
Sie betrachtet die hellen Haare, seine schmalen Schultern, die langen Arme. Seine dünnen Hände streichelten bei ihrer ersten Begegnung ihren gewölbten Bauch so selbstverständlich, dass sie sich sofort geborgen gefühlt hatte.

Katrin sieht hinüber zur Tür. Aus Angst, den Zeitpunkt zu verpassen, wenn diese sich öffnet, kann sie den Blick nicht mehr abwenden. Sie möchte ihm in dem selben Moment in die Augen sehen, wenn er sie sieht. Die Frage, ob er sie erkennen wird, schiebt sich in ihr Bewusstsein. Mit einem Kopfschütteln versucht sie diese zu vertreiben.
Sie bemerkt nicht, wie sie beginnt mit den Fingerspitzen aufeinander zu tippen. Ihr Daumen berührt die Spitze ihres Mittelfingers, dann den Ringfinger, den kleinen Finger und wieder zurück bis zum Zeigefinger.
Ihr Körper bebt vom unterdrückten Bewegungsdrang.

Besorgt beobachtet Thomas den nervösen Tick seiner Freundin. Die Erinnerungen an damals kommen wieder hoch. Einige Wochen nach ihrer ersten Begegnung stand sie plötzlich zitternd vor ihm. Das dunkle Haar fiel ihr ins Gesicht. Schweigend tippte sie die Finger aufeinander, wie jetzt auch, bis er ihre Hände ergriff und sie an sich zog, ihren Körper in dem übergroßen Pullover mit seinen Armen umschloss.

Katrin.“
Die Sanftheit seiner Stimme löst in Katrin einen Knoten. Das Brennen in den Augen ignorierend stürmt sie zur Tür, in der panischen Gewissheit, dass diese abgeschlossen ist. Niemand wird durch sie hindurch kommen. Selbst wenn er es wollte, er würde es nicht können.
Aber vielleicht würde er es gar nicht wollen. Katrin beißt die Zähne aufeinander. Wichtig ist nur, dass diese verdammte Tür jetzt aufgeht.
Jetzt!
Sie zerrt an der Tür und für eine Sekunde scheint es, als ob diese tatsächlich verschlossen ist, dann gelingt es ihr die Klinke zu drücken.

Vor ihr liegt ein langer Flur mit grauen Wänden und einigen unbequemen Plastikstühlen.
Regungslos steht sie im Türrahmen, nicht willens ihren sich überschlagenden Gedanken Beachtung zu schenken.
Die Aufregung rauscht in ihren Ohren, sodass sie die sich nähernden Schritte nicht hört. Erst als sie den Kopf hebt, bemerkt sie am Ende des Flures die Frau und den Jungen.

Das ist Katrin, deine leibliche Mutter.“
Die Frau vom Jugendamt nickt dem Jungen aufmunternd zu.

Die Ähnlichkeit des Jungen mit seinem Vater erschreckt Katrin. Er ist 14, zwei Jahre jünger als sein Vater damals, doch schon jetzt hat er die gleiche Statur.
Seit der Termin für die Begegnung feststand, war sie alle Möglichkeiten durchgegangen. Sie hatte das Treffen in ihrer Vorstellung so oft wiederholt, dass sie sich jetzt ganz leer fühlt.
Da steht er, ihr Sohn. Die Hände in den Taschen seiner Jeans vergraben. Die breiten Schultern sind hochgezogen und das schwarze Haar ist verwuschelt.
Ihr Sohn, den sie verlassen hatte, den sie weggab, ohne ihn einmal gesehen zu haben.

Es tut mir leid, Björn.“, haucht Katrin.

Überrascht von dieser Bemerkung hebt der Junge den Kopf und sieht Katrin endlich an, die grünen Augen voller Trotz.

Fast schon erleichtert streckt sie ihrem Sohn die Hand entgegen. Hier ist sie die Schuld, ihre Schuld. Sie erkennt sie in seinem Gesicht.

Ist es zu spät?“

Vielleicht.“ Er blickt unentschlossen auf die ausgestreckte Hand. Der Mund ist zusammengepresst. Einen Moment lang knirscht er mit den Zähnen.

Vielleicht nicht.

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Für einen kleinen Schreibwettbewerb (von Lea Korte ) schrieb ich 3 verschieden Versionen einer Szene. Zu gewinnen gab es einen Monat von ihrem Online-Autoren-Schreibkurs. Da wollte ich natürlich unbedingt mein Glück versuchen. Leider hat es nicht für mich nicht geklappt. Dennoch wollte ich euch die kurzen Szenen gerne vorstellen.

Heute gibt es die erste Version, die ich auch bei Lea eingereicht hatte. Viel Spaß beim Lesen und freue mich auf Kommentare.

Es ist gar nicht so einfach, ein Buch zu lesen, in dem es nur die wörtliche Rede gibt.
Als läge man im Koma und kann nur hören, was um einen herum passiert. Alles ist so präsent, weil alle anderen Sinne ausgeschaltet sind und nur noch der eine Sinn, der mit dem man die Worte wahr nimmt, ausgebildet, ja verschärft ist.
Ohne die Pausen von Zwischenteilen, Erzählungen und ungefährlichen Beschreibungen schreibt sich, so scheint es mir, alles irgendwann in GROSSBUCHSTABEN. Die Stimme des Autor wird zum Schreien, direkt in meinem Kopf.Hotschnig - Leonardos Hände

Nach der Fahrerflucht treibt es Kurt immer wieder zum einzig Überlebenden des Unfalls. Anna liegt im Koma und in seiner Fantasie malt er sich Gespräche mit ihr aus. Versucht seine Schuldgefühl zu bewältigen.

„Ich bin noch nicht tot, Kurt, auch wenn du dich bis jetzt nicht um mich gekümmert hast. Gekümmert hast du dich, ja, in deinem Kopf. Nicht um mich. Nur um dich. Bis jetzt hast du dich nur um dich gekümmert, um deine lächerliche Angst vor dir selber und um dich selbst.“

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Ihr meint Scifi ist nicht wirklich etwas für euch?

Ihr kennt Ender noch nicht!

Orson Scott Card @Nihonjoe

Orson Scott Card @Nihonjoe

Ender Wiggins ist die Hauptfigur einer Scifi-Reihe von Orson Scott Card und diese Bücher gehören in meiner Bibliothek wohl zu den meist gelesenen. Ich hätte euch jetzt gern ein Foto von dem zerlesenen ersten Band gezeigt, aber ich habe es verborgt. Ich habe es eigentlich immer verborgt, denn so ein Buch muss gelesen werden, immer in der Hoffnung, ich kann meine Begeisterung verteilen, wie eine hochansteckende Krankheit.
Dies hier wird ein sehr umfangreicher Artikel, denn es sind schließlich 8 Bücher, über die ich berichte. Daher habe ich den Inhalt wirklich nur sehr grob umrissen und schreibe mehr über das Lesegefühl, dass mir diese Geschichten vermittelt haben. Lasst Euch von der dem Begriff Scifi nicht in die Irre führen, denn Card erzählt fantastische Märchen über das Gute und das Schlechte im Menschen. Ausserirdische, Weltraumreisen, hochentwickelte Technik und ein intelligentes Computerprogramm sind dabei seine Wahl der Umgebung. Mit Cards Gabe des Erzählens, seinem Einfühlungvermögen und dem sprachlichen Talent webt er Geschichten über Personen, von denen man immer mehr erfahren möchte.
Ihr solltet Ender kennen lernen.

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Mir geht gerade etwas durch den Kopf. Ich frage mich, ob eine Meinung durch eine bewusste Wortwahl eingeschränkt wird. Immer wieder fällt mir auf, dass polemische Argumentationen oft durch die Freiheit der eigenen Meinung entschuldigt wird.
Ist eine Meinung weniger wahrhaftig, wenn sie vorher durch einen minimalen Höflichkeitsfilter läuft und ich mich an die grundlegensten sozialen Kommunikionsregeln halte? Macht Respekt anderen gegenüber meine Meinung weniger wirksam?

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*zur Bewertung:
Hey, das ist mein Blog und da kann ich entscheiden, ob mir eine Bewertung nicht ausreicht. Hier brauchte ich nunmal 2 Bewertungen {:

Ich mag die Bilder von Gerald Brom. Sie sind düster, makaber, fantasievoll. Er hat für meine Lieblingskartenspiele (Kennt das noch jemand? Magic – the Gathering) gezeichnet und meine Lieblingsrollenspiele. Und im Internet kursieren viele seiner Fantasybilder als Avatare.
Ich war völlig überrascht, als ich erfuhr, dass ich gerade ein Buch von ihm gelesen hatte.
Sein drittes Buch ist inspiriert von der Geschichte um Peter Pan.

BROM - der Kinderdieb

BROM - der Kinderdieb

Peter ist ein Kind des Waldes, ganz anders als die Menschenkinder, mit spitzen Ohren und goldenen Augen und noch immer ein Baby, als er zu Sprechen beginnt. Aus Angst verstößt ihn seine menschliche Mutter und setzt ihn mitten im Winter im gefährlichen Wald aus. Doch er überlebt und findet nach einigen Jahren den Weg nach Avalon, der Insel der Dame.

Wir treffen Peter im heutigen New York wieder und er ist auf der Suche nach verlorenen Kindern. Es sind die Ungewollten, die Misshandelten, die Traurigen, die Einsamen, die Heimatlosen, die Peter sucht und durch den Nebel nach Avalon bringen will. Dort sollen sie zu seinen Teufeln werden, eine Bande wilder Kinder, die sich im Kampf üben. Denn Avalon ist im Krieg gegen die Fleischfresser und langsam vernichtet die Geißel alles Leben auf der Insel.

Es ist die dunkle Geschichte von Peter Pan, blutrünstig und verdorben. Es gab viele Lesemomente, an denen ich das Buch voller Grauen und teilweise angewidert beiseite legen musste. Wenn ein 6-jähriger Peter von einer Sumpfhexe sexuell angegriffen wird, geht das über meine Schmerzgrenze hinaus.
Trotzdem habe ich immer weiter gelesen. Die Geschichte der Dame des Sees, Königin von Avalon, und die alten Legenden, Peters Leben, seine Vergangenheit und der Kampf um das letzte magische Land, sind zu packend, als dass ich es bleiben lassen konnte.
Brom webt hier ein Gespinst aus Elfenhaar und Feenglitzerstaub, der in die dunkelsten Ecken der menschlichen Grausamkeit leuchtet. Die Sprache und die unerbittliche Brutalität machen die Botschaft des Buches teilweise mehr als deutlich. Ein wenig mehr Raffinesse hätte der Geschichte, meines Erachtens, gut getan. Vielleicht war es aber gerade deshalb packend wie ein Sog, aus dem es kein Entkommen gibt, bis zum tödlichen Ende, egal wie sinnlos es scheint.
Am Ende war ich enttäuscht, dass die Wahrheit zu nah an die Realität heran kommt.

War die Geschichte von J. M. Barrie noch ein fröhliches Kinderbuch mit kritischen Aspekten, rate ich davon ab Broms „Der Kinderdieb“ Kindern oder Jugendlichen in die Hand zu geben. Die Gewalt und sexuellen Anspielungen könnten sogar einigen Erwachsenen zu weit gehen. Was mir besonders nahe geht, ist der Zusammenhang mit Kinder, die entweder Opfer oder Täter sind.

Das Buch „Der Kinderdieb“ ist wie Broms Bilder düster und bedrückend. Für mich war es sowohl ein Highlight als auch abschreckendes Beispiel. Ich bin hin und hergerissen. Die Kapitel sind mit eindrucksvollen Schwarz/Weiß-Bildern unterteilt und in der Mitte des Buches gibt es zusätzliche Hochglanz Farbbilder. Für mich ist das eindeutig ein Pluspunkt.
Wer also nicht vor drastischer Darstellung von Gewalt an, von und mit Kindern zurück schreckt, der mag sich bitte selbst ein Bild machen.
Doch seid gewarnt! Peters Lächeln ist ansteckend, nicht einmal die Sterne können ihm widerstehen.

P.S.auf Amazon gibt es auch einen Teaser zu ankucken

Und plötzlich kam das Schweigen über die Welt.

*

Molpe betrachtet die Kugel in ihrer Hand. Sie ist magisch und das nicht nur, weil sich in ihr alle Farben des Lichtes zu immer neuen Mustern brechen. Das wahre Wunder ist, dass diese schillernde Sphäre ihr das Lied schenkt.

Taub geboren, hat Molpe nie gehört, wenn ihre kleine Schwester Klavier gespielt oder ihre Mutter ihnen Einschlafmelodien gesungen hat. Doch wenn sie nun ihre Hände um die kleinen Kugel legt und die Augen schließt, dann kann sie es hören. Wirklich hören, nicht nur die Schwingungen mit ihren Sinnen wahrnehmen.

*

Manchmal kann man den Wert von etwas nur dann einschätzen, wenn man es verloren hat. Das wir Menschen die Sprache verloren haben, war schwer. Doch niemand hätte vermutet, wie sehr wir wirklich das Rascheln der Blätter und das Prasseln des Regens vermissen würden.

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Alles was du siehst - Stefan Beuse

Alles was du siehst - Stefan Beuse

Im Inneren der Schneekugel

Das Lesen dieses Buches ist wie im Inneren einer Schneekugel zu sitzen. Ich bin verwirrt, geblendet und desorientiert, aber um eine Erfahrung reicher, die ich nicht missen möchte.
Wer also ein Buch sucht, um mal wieder entspannt das Wochenende zu verbringen, dem möchte ich von diesem Buch abraten. Jedem der eine Reise in poetisch – philosophische Gefilde nicht fürchtet, sei dieses Buch allerdings dringend ans Herz gelegt.
Mit wundervollen lebendigen Worten erzählt Stefan Beuse von einem Ghostwriter auf der Suche nach seinem Gepäck und vielem mehr. Immer wieder schieben sich andere Leben in die Geschichte. Ned, der einen Weg sucht sich für Kasey bemerkbar zu machen, Aaron und seine Zwillingsschwester Lia, die aus einem verwahrlostem Zuhause fliehen, um sich mit Hilfe ihrer Fantasie ein eigenes zu schaffen und indem wir ihre Geschichten lesen, wirbeln wir ihre Leben auf und sie beginnen sich zu mischen.
Stefan Beuse macht in seinem Buch Abstecher in die Psychologie, der Quantenphysik und Esoterik und das macht das Lesen manchmal etwas anstrengend, aber nie unmöglich.
Jedoch fühlte ich mich manchmal von der Poesie der Worte mitgerissen, unangenehm verunsichert. Ich bin kein Mensch der immer festen Boden unter den Füßen haben muss, gerade beim Lesen ist es für mich sehr spannend mich in die Hände der Geschichte zu begeben und zu sehen wo ich angeschwemmt werde. Jedoch ging es mir in dieses recht knappen Werk zu oft so wie dem Ghostwriter, als er sich über das Eis begibt. Das Krachen der Worte erzeugte eine Angst zu versinken und das Loch nicht mehr wieder zu finden.

Es ist also kein einfaches Buch. Kein Buch, dass sich so einfach wieder beiseite legen lässt, sondern dich mich seinen Worten einfängt, das Denken durch schüttelt und die Seele streichelt. Es ist ein großartiges Buch.

Ach ja noch eine Frage:
Wenn ich das Buch nie gelesen hätte, wäre „Nathan“ dann nicht geflogen?

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Hier erfahrt ihr mehr über den Autor – www.stefanbeuse.de